Vom Ottomotor zu Deutz 4.0 - vdma.org
Von Verena Gaupp
Bereits seit 2017 wurde bei Deutz an elektrischen Systemen gearbeitet, um dann im Jahr 2022 das Segment "Green" neben den Segmenten "Classic" und "Service" einzuführen. Die neue Business Unit bildet sämtliche Aktivitäten rund um die Entwicklung und Herstellung von neuen Antrieben jenseits des Dieselmotors ab. Ulrike Schumacher, Project Manager E-Systems, freut sich: "Inzwischen durfte ich das erste elektrische Antriebssystem mit dem Team in die Serie begleiten." Bert van Hasselt, CEO der Business Unit Green, ergänzt: "Wir wollen ein komplettes Ökosystem schaffen - über das Produkt hinaus profitieren unsere Kunden von Ladeinfrastrukturlösungen sowie Service-, Finanz- und Beratungsleistungen." Der Niederländer bringt mehr als 25 Jahre Führungserfahrung im Maschinenbau und Nutzfahrzeugbereich mit und konzentriert sich bei der Ausrichtung des Segments auf Kundenorientierung: "Wie können wir unsere Kundschaft bestmöglich im Rahmen der Transformation hin zu CO2-neutralen Lösungen unterstützen?"
Ulrike Schumacher führt vorbei an Glastüren, hinter denen Mitarbeitende an verschiedenen Aufbauten tüfteln, während sie erläutert: "Die Business Unit Green ist noch in der Entwicklung und wird in den kommenden Jahren zur vollen Blüte gelangen", und van Hasselt ergänzt: „Die ersten Produkte haben wir, die Nachfrage nimmt zu. Der Markt wächst also, doch die Infrastruktur muss noch hinterherkommen.“
Technologieoffen aufstellen
Van Hasselt sieht hier die Politik gefordert. Heute hat das Green-Segment einen Anteil von etwa 1 bis 2 Prozent am Gesamtumsatz, 2030 sollte das deutlich mehr sein. "Wir haben hier vor 160 Jahren mit dem Verbrenner angefangen. Für die Entwicklung neuer Technologien können wir uns nicht so viel Zeit nehmen." Das Thema dränge aus technischer und politischer Sicht sowie im Hinblick auf den Wettbewerb. In Bezug auf die Batterien würden neben Lithium möglicherweise neue Werkstoffe zum Einsatz kommen. CO2-neutrale Kraftstoffe werden weiterentwickelt und in absehbarer Zeit verfügbar sein, um existierende Motoren umweltfreundlicher zu gestalten. "Welche Lösungen noch kommen werden, können wir im Moment nicht vorhersagen. Damit betreten wir Neuland und müssen uns technologieoffen aufstellen", fasst van Hasselt die Situation zusammen.
Neuland im übertragenen Sinne wird auch im Außengelände betreten. Hier steht ein Bagger, der ursprünglich durch einen Dieselmotor angetrieben wurde. Bei Deutz fand die Umrüstung auf ein elektrisches Antriebssystem statt. So ein Retrofit hat viele Vorteile. Bei der Herstellung eines neuen Baggers mit E-Antrieb würden zusätzliche CO2-Emissionen für die Produktion von Fahrzeugchassis, Kabine und weiteren Maschinenteilen entstehen, die durch die Übernahme des bereits vorhandenen Baggers eingespart wurden. Mit dem neuen E-Antrieb ist das Gerät umweltfreundlich und leise geworden. Ulrike Schumacher erklärt das Prinzip so: "Wir demontieren den Verbrennungsmotor und integrieren verschiedene Komponenten, um ihn zu ersetzen: Batterie, System-Steuergerät, Elektromotor, Frequenzumrichter, Onboard-Charger, High-Voltage-Converter und die Power Distribution Unit (PDU) - das ist quasi eine überdimensionale Mehrfachsteckdose für Hochvoltkomponenten.§ Sie weiß, wovon sie spricht - schließlich arbeitet sie mit Fachleuten verschiedener Disziplinen zusammen. "Im Team trägt jeder ein entscheidendes Stück zum Kuchen bei."
High-End-E-Antriebe
Natürlich entstehen auf dem weitläufigen Gelände auch E-Antriebe für neue Maschinen. Dafür, dass sie perfekt funktionieren und absolute Sicherheit bieten, sorgen die Mitarbeitenden an den Prüfständen. "Bei uns ist 'Made in Germany' keine leere Phrase§, betont van Hasselt, "unsere Systeme genügen höchsten Sicherheitsstandards." Die Batterien und ganze elektrische Antriebssysteme werden vor Ort auf Herz und Nieren geprüft: von elektromagnetischen Verträglichkeits- über Falltests bis hin zur Einhaltung von verschiedensten Normen. Wer die Ergebnisse auf dem Bildschirm zu lesen weiß, erfährt einiges - für alle anderen sieht der Aufbau mit den verkabelten Batterien hinter Glas statisch aus. Tatsächlich tut sich einiges, denn hier wird getestet, ob die Datensätze der eigens entwickelten Software einwandfrei zusammenpassen. Strom ist eben unsichtbar, und E-Motoren vibrieren nicht so sichtbar wie Dieselmotoren - trotzdem kann es im Ernstfall zu Explosionen kommen. Während hier die Über- und Unterspannung im Fokus stehen, werden nebenan die Batterien Ebene für Ebene zusammengesetzt. Ohne Schutzkleidung geht da gar nichts. "Schließlich arbeiten die Kollegen und Kolleginnen hier jeden Tag unter Hochspannung", sagt der CEO augenzwinkernd und zeigt auf einen silbrigen Kasten. "Pro Ebene werden mehrere Module vormontiert, dann werden mehrere Ebenen aufeinandergesetzt und verschaltet."
Um potenzielle Fehlerquellen zu finden, werden die Batterien Vibrations-, Schock- und elektrischen Tests unterzogen, anschließend wieder zerlegt und auf Fehler untersucht. Das Endprodukt entspricht dann den ISO-Normen und ist flexibel jeder Maschinengeometrie anpassbar: Die Alu-Profile sind in verschiedenen Maßen verfügbar. So lassen sich nicht nur vier, sondern bis zu acht Module pro Ebene schalten und so viele Ebenen aufeinander montieren wie gewünscht. Höher, flacher, länger - alles ist möglich. Bevor er eine Schraube löst, zieht ein bereits in voller Schutzmontur gekleideter Mitarbeiter noch Sicherheitshandschuhe an. Einen Unfall gab es hier bislang nicht - schließlich wird das Ganze vom Batteriemanagementsystem (BMS) überwacht, das jegliche Batteriefunktionen vom Laden bis zur Parallelverschaltung sicherstellt und im Fehlerfall abschaltet. Es wurde entwickelt und produziert von Futavis, einer Tochtergesellschaft von Deutz. Ulrike Schumacher erläutert: "Unsere Batterie ist unser Alleinstellungsmerkmal. Sie ist modular aufgebaut und kann den Wünschen der Kundschaft flexibel angepasst werden."
Einsatz in CO2-neutralen Baustellen
Bereits heute findet E-Technik aus dem Hause Deutz vielerorts Verwendung - nur nicht unter Tage oder im längst gesättigten Gabelstaplermarkt. Die Antriebe aus Köln sind vor allem auf Flughäfen und in kommunalen Anwendungen im Einsatz, etwa in Baggern, Radladern, Betonpumpen oder Straßenkehrmaschinen. Gerade für die Städte ist auch der Lärm ein entscheidender Aspekt. "Von behördlicher Seite geförderte Aufträge erfordern oft CO2-neutrale Baustellen. Da sind E-Antriebe gefragt", sagt van Hasselt.
Erstausrüster seien noch vorsichtig angesichts der hohen Investitionen in die Entwicklung von E-Antrieben. Anfangs hätten viele gedacht, sie benötigten nur eine Batterie und einen E-Motor, um dann schnell festzustellen, dass die Umstellung auf E-Antrieb einiges an Know-how erfordert - Know-how, das man sich bei Deutz angeeignet hat und mit dem man die gesamte Lieferkette abdeckt. Das alles sei aber nur ein Schritt im großen Transformationsprozess. "Wenn vor 15 Jahren jemand gesagt hat, ihr werdet mal einen Bagger elektrifizieren, dann haben wahrscheinlich 98 Prozent gedacht: Lass die reden." Wo die Elektrifizierung an ihre ökonomischen Hürden und Leistungsgrenzen stößt, sieht der Niederländer momentan den Wasserstoff als bevorzugte Alternative. "Deshalb bieten wir auch einen Wasserstoffverbrennungsmotor an." Parallel arbeiten van Hasselt, Schumacher und ihr Team an den Antrieben der Zukunft weiter, die Deutz nach außen und innen transformieren.
Dieses Jahr feierte das Unternehmen sein 160. Jubiläum - wo alles begann: in Köln-Deutz, dem Stadtteil, dem die Firma den Namen verdankt. Der CEO sagt: "Die Deutz AG ist ein 160 Jahre altes Industrieunternehmen, das seit jeher in der Welt der Verbrennungsmotoren unterwegs ist. Unsere Herausforderung ist es jetzt erst einmal, das Unternehmen neu zu präsentieren - mit unseren aktuellen und zukünftigen Produkten."
