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Von Drahtziehern und Ideenfindern
Niehoff hat seinen Umsatz innerhalb von sechs Jahren mehr als verdoppelt - trotz Krisen und veränderten Marktbedingungen. Dafür setzt das Unternehmen auf das Potenzial seiner Mitarbeitenden und bindet sie aktiv in die Weiterentwicklung der Firma ein.

Von Monique Opetz

Vor der Ausbildungshalle der Maschinenfabrik Niehoff GmbH & Co. KG im bayerischen Schwabach fällt eine große freistehende Tafel ins Auge. Sie ist vollgepinnt mit jeder Menge DIN-A4-Blättern. Darauf zu lesen sind Ideen von Mitarbeitenden aus der Montage, der Logistik oder der Lackiererei. "Es geht darum, Prozesse zu optimieren und die Wertschöpfung zu erhöhen", erklärt der Vorsitzende der Geschäftsführung, Ralf Kappertz. Die Ideen, die es bis hierher geschafft haben, werden umgesetzt. Diese Ideentafel, das wird am Ende des Werkrundgangs klar, ist ein entscheidendes Element für die erfolgreiche Weiterentwicklung und die Resilienz des Familienunternehmens.

Für Ralf Kappertz gehört dieser Rundgang zu seinem täglichen Ritual, wenn er in Schwabach ist. "Management by walking around" beschreibt er diese Arbeitsweise. In der Montagehalle ist es angenehm leise. Hier entstehen Drahtziehmaschinen und Ziehanlagen für die Draht- und Kabelindustrie. Die Auftragsbücher sind voll. Kabel von Niehoff-Maschinen stecken in Fahrzeugleitungen, Energietrassen, Spülmaschinen oder Rechenzentren. Niehoff profitiert von Megatrends wie der Energiewende und der Digitalisierung.

Kappertz steuert eine Besprechungsinsel mit Tisch und einem riesigen analogen Shopfloor-Board inmitten der Halle an. Jeden Morgen um 7:30 Uhr versammeln sich hier etwa 20 Mitarbeitende zum Shopfloor-Meeting. Es sind Kolleginnen und Kollegen vom Einkauf, vom Verkauf, von der Konstruktion, der Qualitätssicherung, der Montage, Zerspanung, Logistik und vom Prüfstand dabei.

"Power+ Monitoring" steht über der etwa zwei Meter langen kleinteiligen Tabelle, die mit grünen, gelben und roten Magneten gespickt ist. "Hier laufen alle Aufträge zusammen und wir visualisieren den Auftragsfortschritt", erklärt er. 
Eingeführt hat er die Runde vor rund sechs Jahren. Sie hat die damals übliche Meisterrunde in einem sterilen Besprechungsraum ersetzt. Es sei ein einstufiger Prozess, betont Kappertz. Der Vorteil dieser Methode: Die früher langwierigen Entscheidungsprozesse zwischen Werkstatt, Meister und Geschäftsführerebene entfallen. "Wir bekommen ungefilterte Informationen und sind sofort in der Interaktion", sagt er. 

International aufgestellt

Mit Corona kamen mobile Übertragungswagen hinzu, die auch heute noch Kolleginnen und Kollegen von anderen Standorten teilnehmen lassen. Die Niehoff-Gruppe ist weltweit vertreten. Neben Deutschland entstehen Drahtziehmaschinen etwa in Indien, China oder Brasilien. Es gibt acht Fertigungsstandorte und vier Verkaufs- und Serviceniederlassungen; eine davon eröffnete kürzlich in Mexiko. "Wir haben früh angefangen, uns international aufzustellen", klinkt sich Geschäftsführer Bernd Lohmüller ein. 1994 startete Niehoff mit einem Sales und Service Center in China; seit 2021 gibt es dort auch eine Fertigung. Bereits 1997 gründete Niehoff in Indien ein Tochterunternehmen. "Damals dachte noch kaum ein anderes deutsches Maschinenbauunternehmen über Indien nach", betont Lohmüller.

Weitsicht und Mut werden belohnt: Momentan zählt Indien zu einem der größten Märkte für Niehoff. Dabei zahlen die unterschiedlichen Niederlassungen und Märkte auf die Resilienz des Unternehmens ein. "Weil wir lokal für lokal produzieren und die lokalen Beschaffungsmärkte nutzen", erklärt Geschäftsführerin Elena Graf. Maschinen für China werden in China produziert; gleiches gilt für Indien, die USA und Brasilien. Auch der Service ist lokal verankert. "Wir schicken nicht alles um die Welt. Das reduziert unseren CO2-Abdruck erheblich", betont sie. 

Das Unternehmen hat eine flexible Struktur geschaffen, die Anpassungen im Vertrieb, in der Produktion oder in der Know-how-Verteilung zulässt. "Wenn in einem bestimmten Segment die Industrie schwächelt und wir weniger Aufträge bekommen, können wir beispielsweise auf andere Produktgruppen umsteigen", erklärt Lohmüller die Vorgehensweise. Auch das Konzept der "Focused Factories" zahlt darauf ein: Die drei erinnern sich an Zeiten, in denen Auftragseingänge in Schwabach in die Höhe schnellten. Sie entwickeln ein Verlagerungsszenario und verteilen die Auftragslast auf fünf Produktionsstandorte, inklusive der Mitarbeitenden. Niehoff profitiert von den vorhandenen Produktionen der Tochterunternehmen und kann die Aufträge schnell abarbeiten.

Umstellung auf Taktmontage

Das Trio setzt seinen Weg in der Halle fort. Mitarbeitende werden herzlich gegrüßt - so auch Stefan Rößler, der gerade in der Montage beschäftigt ist. "Ein klasse Typ", lobt ihn Kappertz. Der Industriemechaniker und Mechatroniker habe sich zuerst von der Idee der Taktmontage infizieren lassen und schließlich auch das restliche Team überzeugt. Seit etwa vier Jahren hat das Unternehmen von Einzel- auf Taktmontage umgestellt. "Wir reduzieren dadurch den Durchlauf und können in einem bestimmten Zeitraum mehr Anlagen produzieren", erklärt Kappertz. Rößler ist ein sogenannter Multiplikator: Neben seinen eigentlichen Aufgaben hat er Zeit, neue Konzepte zu entwickeln.

Kappertz hält viel davon, Veränderungen von innen heraus anzustoßen und Kompetenzen von Mitarbeitenden zu nutzen sowie zu fördern. Vor etwa sieben Jahren beginnen er und sein Team, sich zu überlegen, wie Abläufe weiterentwickelt und die Fertigung optimiert werden können. Sie setzen auf das sogenannte Lean Management - ein Ansatz, der darauf abzielt, Prozesse zu verbessern, indem Verschwendung vermieden wird.

Einzig für die Methodik holten sie sich externe Hilfe ins Haus. Als die sitzt, sind es die Mitarbeitenden, die das Unternehmen umkrempeln. "Wir haben klein angefangen", erzählt Kappertz. Zunächst startet ein Dreier-Team mit langjähriger praktischer Erfahrung und Know-how im Prozessmanagement und in der Arbeitsvorbereitung in der Montage. Das Ziel war nicht, Vorgabezeiten zu thematisieren und schneller zu montieren, sondern Verschwendung, Leer- und Wartezeiten im Prozess anzusprechen. "Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter kann mir erklären, warum eine Vorgabezeit nicht eingehalten wird", erzählt Kappertz. Die viel wichtigere Frage sei jedoch: Welche Potenziale gibt es? Er fragt sie: Wo drückt der Schuh am stärksten? Warum können wir bestimmte Probleme nicht lösen?

Ralf Kappertz, Vorsitzender der Geschäftsführung, Niehoff
„Das Wertvollste, das wir haben, sind die Ideen in den Köpfen unserer Leute.“
Ralf Kappertz, Vorsitzender der Geschäftsführung, Niehoff
Ralf Kappertz, Vorsitzender der Geschäftsführung, Niehoff

Fortschritte visualisieren

Im nächsten Schritt landeten die Punkte auf einem Board. Daneben die Frage: Wer kann zu einer Lösung beitragen? Und bis wann? Schnell fanden sich Verantwortliche - und Termine für die Bearbeitung. Rote, gelbe und grüne Punkte zeigen den Fortschritt an. Lohmüller spricht von einem Paradigmenwechsel bei Niehoff, denn Vorgabezeiten stehen nicht mehr im Fokus. Verschwendung hingegen wolle jeder vermeiden, findet er. 
Das Niehoff-Team in Schwabach ist aktiv in diesen Prozess eingebunden. "Es kreiert ein gewisses Momentum, wenn die Menschen miterleben, dass Probleme tatsächlich gelöst werden", ist Bernd ­Lohmüller überzeugt. Die Mitarbeitenden erfahren Selbstwirksamkeit: Vorschläge, die sie aufschreiben, werden wahrge­nommen und umgesetzt. Nachdem ­größere Schwachpunkte optimiert worden sind, beginnen die Mitarbeitenden damit, kleinere Probleme zu berichten. Auch Punkte, die seit Jahren mitgeschleppt werden, bringen sie ein. „Und so haben wir angefangen, Prozesse aufzunehmen, zu mappen, Potenziale zu finden und stückweise dieses Potenzial zu heben", sagt Elena Graf. "Das geht nur gemeinsam", betont Kappertz. "Denn das Wertvollste, das wir haben, sind die Ideen in den Köpfen der Leute."

45 %
der Mittelständler in Deutschland sind überdurchschnittlich resilient.

Der Weg zurück führt wieder an der Ideentafel vorbei. "Power Plus Ideas" steht am oberen Ende. Verbesserungsvorschläge sind bei Niehoff ein integraler Bestandteil der Unternehmenskultur und zahlen auf die Widerstands-, Anpassungs- und Lernfähigkeit des Unternehmens ein. Ebenso wichtig: jede Menge Mut. "Um resilient zu sein, muss man Mut zur Veränderung haben", sagt Lohmüller. "Und die Bereitschaft, einen Ansatz auch mal zu korrigieren", ergänzt Kappertz. 2026 feiert das Unternehmen 75 Jahre Niehoff. An Ideen für die Jubiläumsparty wird es sicher nicht mangeln.

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