Zeitenwende im Jagsttal - vdma.org
Von Tilman Baur
Es ist idyllisch bei ebm-papst im Jagsttal in Mulfingen. Das Hauptquartier des Weltmarktführers für Ventilatoren und Motoren ist von Wald und Wiesen umgeben. Ein Arbeiter im Blaumann grüßt freundlich. Vor dem Empfangsgebäude parken Elektrofahrzeuge, und in der Kantine serviert das Küchenteam Tafelspitz mit Kartoffeln.
Das vor 61 Jahren gegründete Unternehmen blickt auf eine erfolgreiche Geschichte zurück, die geprägt ist von Phasen des Wachstums und der Expansion, aber genauso von Herausforderungen und Phasen des Übergangs. Und genau in einer solchen Phase befindet sich die ebm-papst Mulfingen GmbH & Co. KG derzeit.
Die Veränderungen, die das Unternehmen gerade durchmacht, sind gewaltig. Vor allem im heimischen deutschen Markt kämpft es mit sinkenden Umsätzen. Im Geschäftsjahr 2023/24 waren es weltweit 5,2 Prozent weniger als 2022/23. Es gibt dafür unterschiedliche Gründe. Die anhaltende Unsicherheit durch das Gebäudeenergiegesetz gehört dazu, aber auch die globale wirtschaftliche Lage. Statt abzuwarten, wie sich diese entwickelt, entschied sich die Unternehmensführung vor einigen Jahren dazu, offensiv auf die neuen Rahmenbedingungen zu reagieren und sich zu verändern.
Über eine strategische Neuausrichtung war bereits vor dem Antritt von Dr. Klaus Geißdörfer als CEO gesprochen worden. Gemeinsam mit allen Mitarbeitenden setzt er diese nun seit drei Jahren in die Tat um. Zu den Maßnahmen gehört unter anderem der Ausstieg aus zwei Sparten. Eine davon ist das Automobilgeschäft: "Im laufenden Geschäftsjahr haben wir bereits über 50 Prozent heruntergefahren. Der Rest wird bis 2030 auslaufen", sagt Geißdörfer. Die Sparte Industrieantriebe wiederum verkauft ebm-papst an Siemens.
Mit Siemens gibt es aber auch an anderer Stelle eine Kooperation in Sachen Weiterentwicklung: ebm-papst setzt bei der Einführung eines neuen Product-Lifecycle-Management-Systems (PLM) auf ein Produkt des Münchner Mischkonzerns. PLM-Systeme sind Softwarelösungen, die den gesamten Lebenszyklus eines Produkts verwalten und optimieren, von der ersten Idee bis zur Entsorgung. "Das ermöglicht es uns, unsere Prozesse grundlegend zu hinterfragen und neu zu gestalten", sagt Dr. Daniel Boese, der seit 2022 als Executive Vice President Global Transition fungiert. "Wir nutzen auch intelligente Tools, um unser Produktportfolio besser zu managen und unsere Geschäftsprozesse zu optimieren."
Kopf frei fürs Kerngeschäft
Dinge grundlegend neu denken: Das ist jetzt noch besser möglich als vorher. Der Phase-Out der Sparten habe Kräfte freigelegt, sagt Geißdörfer. "Wir konnten neue Geschäftsmodelle und Produkte entwickeln, was ohne die Verschiebung der Ressourcen nicht möglich gewesen wäre", sagt der CEO. So habe man Kompressoren für Brennstoffzellen und Wärmepumpen entwickelt. Das neue PLM ist keine Eintagsfliege, sondern steht für die neuen zentralen Themenfelder bei ebm-papst: Digitalisierung, KI und Nachhaltigkeit. Bis 2030 will das Unternehmen als Green-Tech-Player etabliert sein, der Umsatz soll von derzeit 2,4 Milliarden auf 4 Milliarden Euro steigen.
Die von KI-Tools flankierte Digitalisierungsoffensive soll die Produktion effizienter, weniger energieintensiv und damit nachhaltiger machen. Das Kerngeschäft Ventilatoren ist laut Management auf gutem Kurs. Die Rechenkapazitäten wachsen durch den KI-Boom weltweit. Damit wächst der Umfang der Rechenzentren, neue entstehen und der Bedarf an Ventilatoren, die sie kühlen, steigt entsprechend. Der Umsatz mit Ventilatoren, Luft- und Klimatechnik ist deshalb zuletzt gewachsen.
Auch im harten Wettbewerb um Fachkräfte sehen sich die Mulfinger mittlerweile gut aufgestellt. Die Lage in der Region Heilbronn-Franken ohne Metropole in Reichweite galt bisher eher als Handicap. Heute leuchten die Augen der Manager und Managerinnen, wenn sie aus dem Fenster Richtung Südwesten schauen. Denn in Heilbronn hat sich vor einem Jahr der Innovationspark Artificial Intelligence (IPAI) angesiedelt. Dort entsteht Europas größtes Ökosystem für künstliche Intelligenz (KI). Neben vielen Startups und dem öffentlichen Sektor ist auch die TU München mit einer Außenstelle vertreten. Für ebm-papst entsteht so ein Talentpool direkt vor der Haustür. Das helfe enorm, Talente aus der Region anzuziehen, sagt Boese.
Trotz dieser neuen Möglichkeit bleibt der Fachkräftemangel auch für ebm-papst eine Herausforderung. Geißdörfer ist zuversichtlich, dass die Neuausrichtung des Unternehmens auf Digitalisierung und KI Vorteile mit sich bringt. "Ob wir wollen oder nicht, wir müssen in den kommenden Jahren einige Prozesse automatisieren", sagt Geißdörfer. Langfristig werde es bei der Bewältigung der Aufgaben auf eine Kombination aus menschlicher und künstlicher Intelligenz hinauslaufen, betont der Geschäftsführer, der sich bereits in den 1990er-Jahren in seiner Diplomarbeit mit KI auseinandergesetzt hat. Man lege neue Schulungsprogramme für Mitarbeitende auf, die sie fit für die digitalen Herausforderungen der Zukunft machen.
"Glokal" ist die Devise
Regionalität gewinnt in Mulfingen nicht nur in Sachen Fachkräftegewinnung an Bedeutung. Teil der strategischen Neuausrichtung ist es, die Regionen autarker zu machen. Die Lieferkettenkrise der Coronajahre war ein Warnschuss für die Industrie. Viele Akteure sind dazu übergegangen, die lokalen Märkte zu stärken. Sie sollen widerstandsfähiger werden gegenüber den Launen der Weltmärkte. Auch ebm-papst richtet seine Strategie neu aus. Das gilt für Deutschland ebenso wie für die Werke in den USA, China und Indien, wo neue Produktionsstätten gebaut und bestehende erweitert werden sollen. "Glokal" lautet das Schlagwort. "Das bedeutet, dass die Werke im Ausland flexibler werden, schneller auf Marktanforderungen reagieren können und selbst für ihre Lieferketten verantwortlich sind", erklärt Geißdörfer.
Die laufende Transformation umfasst eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen. Sie reichen von der Einführung neuer IT-Systeme bis hin zur Umstrukturierung der Geschäftsbereiche. "Unsere Strategie verfolgt einen ganzheitlichen und nachhaltigen Ansatz", sagt Goran Malić. Er ist Leiter des Transition Office, das die Umsetzung der Strategie koordiniert. Die Mission lautet auch hier, das Unternehmen anpassungsfähiger zu machen. "Das Zielbild ist, dass wir auf die schnellen Veränderungen in der Außenwelt genauso schnell reagieren können", erklärt Toni Haberzettl, Leiter der Abteilung Corporate Strategy.
Während sich für ebm-papst erste Erfolge des Umbruchs einstellen - das Wachstum in den USA zieht an, in China steigen die Marktanteile -, bringt dieser auch neue Herausforderungen mit sich. Eine entscheidende Frage ist, wie es gelingt, die weltweit verteilten Beschäftigten auf das neue Terrain zu führen, ohne sie zu überfordern. Ein Bestandteil unter vielen Change-Maßnahmen lautet: zielgruppengerechte Kommunikation. "Wir achten darauf, Informationen auf die Zielgruppe abzustimmen und gezielt zu vermitteln", sagt Katharina Loch von der Abteilung Corporate Communications.
Unternehmenskultur exportieren
Dem Team ist klar: Um das Ziel zu erreichen, müssen sich nicht nur Prozesse, Strukturen und Geschäftsfelder ändern, sondern auch die Unternehmenskultur muss sich transformieren – ohne dass dabei ihre Grundlagen angegriffen werden. Die formuliert Rebecca Henn von der Abteilung Change & Transformation so: "Wir sind hier sehr bodenständig. Wir mögen ehrliche Gespräche von Angesicht zu Angesicht und auf Augenhöhe." Und diese Grundwerte gälten unternehmensweit.
Deshalb entwickelt das Change-Team momentan auch eine Change-Story, ein Narrativ, das eine nachvollziehbare Brücke in die Zukunft schlagen soll und mit dem sich alle Mitarbeitenden identifizieren können. In den Tochtergesellschaften weltweit haben sie ein Netzwerk von Kontaktpersonen, die bei den Veränderungen unterstützen. Die Zusammenarbeit dieses Netzwerks ist für den Erfolg des Gesamtprojekts entscheidend. Katharina Loch sagt dazu: "Wir führen viele Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen hier vor Ort oder auch in der Welt, um zu hören, was gerade passiert und was sie umtreibt."
Der Geschäftsführer der Transformationsberatung Kraus & Partner lehrt an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Provence, der St. Gallener Business-School und der TU Clausthal.
Die Fokussierung auf das Kerngeschäft ist eine Grundstrategie, um resilienter zu werden. Innere Stärke und Überlegenheit in einer Domäne zu entwickeln und alle Ressourcen zu bündeln, führt oft zu einem Wettbewerbsvorteil und somit auch zum Erfolg. Unternehmen stehen stets vor der strategischen Entscheidung, ob sie ihre volle Kraft auf das Kerngeschäft konzentrieren oder sich diversifizieren und neue Märkte erschließen sollen, um mehrere Einkommensquellen zu haben. In einem dynamischen globalen Umfeld sind Flexibilität und Anpassungsfähigkeit Schlüsselkomponenten für nachhaltigen Erfolg. Eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung der Marktstrategien ist daher mehr denn je essenziell, um den langfristigen Unternehmenserfolg zu sichern.
